Präworkshop 2: Michael Berner – im Rahmen der 21. wissenschaftlichen Tagung der AVM


Prof. Dr. med. Michael M. Berner, Karlsruhe

„Exzessives Sexualverhalten – Sucht oder Symptom mit Handlungsbedarf?“

Termin: 17./18. Oktober 2019, Dauer: 10 AE
Donnerstag, 15.00–17.15 / 17.30–19.00 Uhr
Freitag, 8.30–10.00 / 10.15–12.30 Uhr (inkl. Mittagessen)

 

Prof. Dr. med. Michael M. Berner ist seit 2015 ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am Städtischen Klinikum Karlsruhe, einer der größten deutschen Abteilungspsychiatrien an einem Klinikum der Maximalversorgung mit eingegliederter Abteilung für Psychotherapeutische Medizin.

Nach Studium der Medizin in Ulm, Newcastle upon Tyne und Boston (Mass) und seiner Facharztausbildung für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Freiburg (Abt. Psychiatrie,  Prof. Dr. M. Berger) leitete Prof. Berner zunächst für mehrere Jahre oberärztlich die Suchtabteilung der Freiburger Universitätsklinik und habilitierte sich auch in der Suchtmedizin mit einem Thema zur hausärztlichen Versorgung von alkoholbezogenen Störungen. Außerdem etablierte er im Rahmen einer großen öffentlich geförderten Studie eine spezifische alkoholismusspezifische Psychotherapie aus den USA für die Versorgung.

Neben der Psychotherapie der Sucht bilden sexualmedizinische Themen aus Versorgungssicht einen zweiten inhaltlichen Schwerpunkt. Bereits 1998 gründete er mit gynäkologischen und urologischen Fachkollegen das Informationszentrum für Sexualität und Gesundheit e.V. als zunächst der Patienteninformation gewidmeter Verein, der sich in den letzten Jahren zunehmend in der Fort- und Weiterbildung engagiert. Im Rahmen der in Deutschland neuen Zusatzbezeichnung für Sexualmedizin wird ab 2020 in Freiburg ein entsprechendes Ausbildungscurriculum gestartet.

Zwischen 2009 und 2015 baute Prof. Berner im Rahmen eines universitären Kooperationsprojektes die private Rhein-Jura-Klinik für Psychiatrie und Psychosomatische Medizin in Bad Säckingen als psychiatrische Fachklinik mit psychotherapeutischem Schwerpunkt auf.

Prof. Berner leitet das Referat für Sexualmedizin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Seine Forschung  zu Themen der Versorgungsforschung hat zu mehr als 130 wissenschaftlichen Artikeln und Buchkapiteln geführt. Er ist u. a. Mitherausgeber des Praxisbuch Sexualmedizin. Prof. Berner ist außerplanmäßiger Prof. an der Albert-Ludwig-Universität, Freiburg. Er ist außerdem Supervisor für Verhaltenstherapie und Dozent für Verhaltenstherapie an Instituten in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

 

Präworkshop_2 Welche Spielarten von Sexualität als normal, als besonders oder als gestört ange-sehen werden, ist im Laufe der Zeit einem ständigen Wandel unterworfen gewesen und unterscheidet sich auch sehr stark in verschiedenen Kulturen. Grundsätzlich lässt sich jedoch Sexualverhalten sowohl hinsichtlich seiner Qualität als auch seiner Quantität als von der Norm abweichend beschreiben.
Die quantitativ abweichende Sexualität wurde mit den Begriffen sexuelle Sucht, paraphilieverwandte Störung (paraphilia related disorder), sexuell zwanghaftes Verhalten (compulsive sexual behavior), sexuell impulsives Verhalten oder hypersexuelle Störung beschrieben. Qualitativ abweichendes Verhalten wird historisch als Perversion, sexuelle Devianz oder mit dem aktuell gültigen Begriff des paraphilen Sexualverhaltens beschrieben.  Das wichtigste aus quantitativer Sicht zu beschreibende objektivierbare Kriterium ist dabei der bereits von Alfred Kinsey beschriebene Total Sexual Outlet (TSO). Dieser beschreibt die Anzahl an Orgasmen, die der Betreffende pro Woche durchschnittlich erlebt und aus dem dann ein Schwellenwert abgeleitet werden kann.

Trotz intensiver Diskussion wurde die „Hypersexual disorder“ nicht in die 5. Revision des US-amerikanischen Klassifikationssystems  aufgenommen. Diese sollte zunächst unter den sexuellen Störungen aufgeführt werden, explizit nicht bei den Verhaltenssüchten. Auch die Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) ordnet gesteigertes Sexualverhalten nur als möglicherweise den Verhaltenssüchten zugehörig ein (Mann et al. 2013).

In der ICD-10 wiederum findet sich im Moment noch die Diagnose des gesteigerten sexuellen Verlangens (F52.8) die jedoch nicht weiter spezifiziert wird und vermutlich auch in der ICD-11 nicht mehr enthalten sein wird. Auch ist die reine Beschränkung auf Aspekte des Verlangens (Desire) problematisch, da sich ja daraus eigentlich – obwohl das aus den dort hinterlegten diagnostischen Hinweisen teilweise abgeleitet werden kann – direkt keine Aspekte des Verhaltens ableiten lassen. Das heißt, im Wesentlichen kann aufgrund der derzeit gültigen Klassifikationssysteme nur  eine Einordnung als „nicht näher bezeichnete sexuelle Störung“ oder als „nicht näher bezeichnete Impulskontrollstörung“ vorgenommen werden.

Trotzdem erlaubt die Fülle der jedoch häufig theoretischen und deskriptiven Literatur und die Selbstorganisation Betroffener, nicht zuletzt im Internet, die möglicherweise sogar zunehmende Relevanz des Phänomens zu erkennen und die aus dem Leidensdruck Betroffener oder ihres Bezugssystems resultierenden Belastung anzuerkennen und daraus mögliche therapeutische Implikationen abzuleiten. Eine Schlüsselrolle kann dabei der Modulation von Affekten zukommen.

Der Workshop gliedert sich in vier Teile. Auf der Basis einer Sammlung von – idealerweise von den Teilnehmern eingebrachten – Kasuistiken werden zunächst verschiedene Betrachtungsweisen des Phänomens exzessives Sexualverhalten betrachtet. Ausgehend von einem verhaltenstherapeutischen Modell werden dann Ziele (v.a. Verhaltens-) therapeutischer Interventionen identifiziert. Der zentrale Stellenwert affektiver Symptomatik wird dabei beleuchtet.  Im zweiten Teil werden die differential-diagnostischen Notwendigkeiten und Herausforderungen praktisch bearbeitet. Der dritte Teil behandelt schließlich die notwendigen Beratungsinhalte und verhaltenstherapeutischen Techniken. Dabei werden die drei wesentlichen therapeutischen Phasen einer erfolgreichen Verhaltenstherapie dysregulierten Sexualverhaltens vorgestellt, die im vierten Teil praktisch geübt werden.

 

Literaturempfehlungen

Batra A, Mann KF, Berner MM, Günthner A. Suchterkrankungen. In: M. Berger, Psychische Erkrankungen – Klinik und Therapie, 6. Auflage, Elsevier, München, 2019

 Berner MM und Kockott G Sexuelle Störungen. In: M. Berger, Psychische Erkrankungen – Klinik und Therapie, 6. Auflage, Elsevier, München, 2019

 Briken P, Berner MM (Hrsg.). Praxisbuch Sexualmedizin. Thieme, Stuttgart, 2014.

 Schmidt H, Berner MM. Sexuelle Störungen bei psychiatrischen Erkrankungen, In: Briken P, Berner MM (Hrsg.) Praxisbuch Sexuelle Störungen, Thieme Verlag; 2013; S158-173.

 Berner MM, Schmidt H. Exzessives Sexualverhalten Praxisbuch Verhaltenssüchte: Symptomatik, Diagnostik und Therapie bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, Thieme, Stuttgart 2014

 Berner MM und Kockott G. Sexuelle Störungen. In: Batra A, Wassmann R, Buchkremer G  Verhaltenstherapie: Grundlagen – Methoden – Anwendungsgebiete, Thieme, Stuttgart, 2013

Die Teilnahme am Präworkshops kostet:

für Mitglieder der AVM – 240,– Euro (ohne MWSt.)

für Ausbildungsteilnehmer*innen der AVM – 210,– Euro (ohne MWSt.)

als Fortbildung für Nichtmitglieder – 260,– Euro (ohne MWSt.)

ANMELDEFORMULAR_Präworkshops_Tagung 2019

Online-Anmeldung: https://institut-avm.at/tagung/die-tagung-2019/