„…und damit schließt sich der Kreis“ – Über die Anatomie der Melancholie in Peter Greenaways Film „Der Bauch des Architekten“


Mag der markante fünfstöckige Rundbau, der 1784 unter Kaiser Josef II. zur Betreuung Geisteskranker mitten im Areal des Allgemeinen Krankenhauses errichtet wurde und nun das Pathologisch-Anatomische Bundesmuseum beherbergt, mit seinen zum Gebäudemittelpunkt hin spitz zulaufenden Zellen und den schlitzartigen Fenstern heute auch unheimlich und befremdend wirken, galt er im 18. Jahrhundert doch als Symbol eines Fortschrittsdenkens, das psychisch Kranke nicht länger wegsperrte, in völliger Isolation dahinsiechen ließ oder bei Jahrmärkten als Attraktionen zur Abschreckung und Belustigung in Käfigen vorführte, sondern sich erstmals – mithilfe medizinisch geschulten Personals und einer eigenen psychiatrischen Abteilung – um die adäquate Betreuung von Patienten bemühte.

Um zu erklären, was uns zur Auswahl gerade dieses Filmes bewogen hat, kurz etwas zum Inhalt von “The Belly of an Architect / Der Bauch des Architekten” (GB 1986, Regie und Buch von Peter Greenaway):

Der amerikanische Star-Architekt Stourley Kracklite (Brian Dennehy) wird eingeladen, mit seiner jungen Frau Louisa (Chloe Webb) von Chicago nach Rom zu kommen und dort eine Ausstellung über den französischen Baumeister Etienne-Louis Boullée (1728-1799) zu konzipieren. (Boullée entwarf grandiose Bauten, zum Beispiel ein kolossales Mausoleum für Isaac Newton, verwirklichte aber kaum eine seiner Ideen.)
Während der Zug die französisch-italienische Grenze überquert, zeugen Kracklite und seine Frau im Schlafwagen ein Kind. Neun Monate lang ziehen sich die Vorbereitungsarbeiten in Rom hin. Kracklites Ehe zerbricht in dieser Zeit ebenso wie seine überzogenen beruflichen Ambitionen; er muss die Ausstellungsleitung an den intriganten italienischen Architekten Caspasian Speckler (Lambert Wilson) abgeben, an den er auch Frau und Kind verliert.
Der Aufenthalt in Rom wird für ihn zur Bestandsaufnahme seines Lebens. Inmitten der brüchigen antiken Statuen und Mausoleen wird ihm die Vergänglichkeit der irdischen Existenz bewusst. Ein (fiktives) Gemälde zeigt Boullée in der Manier einer antiken Statue mit nacktem Oberkörper. Der aufgequollene Bauch, der darauf zu sehen ist, beunruhigt den bulligen Kracklite, der sich immer stärker mit Boullée identifiziert, zutiefst. Er beginnt, über Boullées Todesursache nachzuforschen, sich intensiv mit den Bauch-Krankheiten römischer Kaiser und der Bedeutung von Kuppeln zu befassen und steigert sich in den Wahn, er leide selbst an Krebs. Von Angst, Entsetzen und Bauchkrämpfen gepeinigt schleppt er sich durch die Altertümer, begegnet immer wieder einem Mann, der den antiken Statuen schweigend die Nasen abschlägt und verliert bald ganz den Bezug zur Realität.
Als die Boullée-Ausstellung mit einer modisch-schicken, spektakulären Show eröffnet wird und bei seiner Frau die Wehen einsetzen, stürzt sich Stourley Kracklite aus einem Fenster des protzigen Monumento Vittorio Emanuele II., das der Volksmund auch als “Altare della Patria” bezeichnet.
Peter Greenaway schwelgt wie immer in Symbolen und Metaphern, gibt dem Zuschauer bizarre, unlösbare Rätsel auf. Der geistreich und eindrucksvoll inszenierte Film fasziniert auch durch die ästhetischen Bildkompositionen in dunkel leuchtenden Farben. Die Geschichte ist lediglich Vorwand für ein bizarres intellektuelles Ratespiel um Architektur, Kunst, Zahlen und Wortspiele, Liebe und Eifersucht und um Zeit- und Lebensalter.

Auch die Architektur des „Narrenturms“ folgt einem astronomisch-okkulten Zahlensystem, mit dem Zweck, die im geistigen Chaos befindlichen Insassen mit der kosmischen Ordnung zu versöhnen. Trotz infernalischem Gestank, schrecklicher Schreie und teilweise angeketteten Insassen stieg Joseph II. mehrmals die Woche in seine „Gloriette“, jenes kleine achteckige Türmchen auf dem Dach des Narrenturms hinauf, um den Himmel zu bestaunen und alchemistische Praktiken durchzuführen.

Wie anhand der Geschichte des Narrenturms die Gratwanderung der Wissenschaft im Zeitalter Josephs II. zwischen dem aufgeklärten Rationalismus und merkwürdig dunklem Aberglauben nachgezeichnet werden kann, so könnte auch Peter Greenaways Film gelesen werden als ein gekonntes Changieren zwischen Kulturgeschichte und Menschheitsmythen.