Simona Baldelli “Die geheimnisvolle Freundin Elsa Morante, La Storia – Vom Skandal zum Klassiker” (ARTE-Doku) (Eichborn)


¡Italien zu Gast!    #LESUNG

Abruzzen in den 1950er Jahren: Von Geburt an lebt Nina in einem von strengen Nonnen geführten Waisenhaus auf dem Land. Als sie sieben ist, wird Lucia aufgenommen, die gerade ihre Eltern verloren hat. Zwischen den beiden gleichaltrigen Mädchen entwickelt sich über viele Jahre hinweg eine enge Freundschaft. Bis ein dramatisches Missverständnis ihr Vertrauensverhältnis nachhaltig erschüttert und beide getrennte Wege gehen. Als Nina mit 18 Jahren das Waisenhaus verlässt, findet sie sich auf einem unbekannten Kontinent wieder, auf dem ihr Leben neu zu beginnen scheint: Sie lernt neue Freunde kennen, nimmt mit ihnen an Demonstrationen und Streiks teil und an der historischen, vierzig Tage dauernden Besetzung der großen Tabakfabrik in Lanciano im Mai 1968. Die privaten und sentimentalen Erlebnisse der Mädchen vermischen sich mit den öffentlichen Ereignissen, rund um sie herum verändert sich Italien, es scheint die Dunkelheit der Vergangenheit hinter sich zu lassen, es entdeckt den Konsum und die Werbung, die Mode und die ersten Gebrauchsautos, während die Transistorradios im Rhythmus der Lieder von einem Wandel der Sitten erzählen. Ein Soundtrack dessen, was hätte sein können und was nicht war.
Simona Baldellis Die geheimnisvolle Freundin (Il pozzo delle bambole, übersetzt von Elisa Harnischmacher) wurde mit dem premio letterario nazionale per la donna scrittrice 2023 ausgezeichnet.

Elsa Morante war die erste Frau, die 1957 den Premio Strega gewann. 1974 trat sie mit einem Roman, La Storia, der an den Stil des 19. Jahrhunderts erinnert, in die kulturelle Debatte ein. Dieser Roman erzählt die Geschichte gewöhnlicher Menschen aus der Sicht ihrer Figuren, hauptsächlich Frauen, junger Männer und Kinder. Trotz seines außergewöhnlichen Erfolgs beim Publikum, mit über einer Million verkaufter Exemplare, wurde La Storia von der italienischen literarischen und kulturellen Gemeinschaft stark kritisiert. Die im Buch erzählten Fakten und seine Protagonisten standen im Gegensatz zu den politischen Forderungen der Proteste jener Jahre, der feministischen Revolution und den Argumenten, die die damalige Debatte prägten. Doch im Italien der 1970er Jahre war man nicht bereit, sich einer Weltanschauung zu stellen, die so weit von der politischen Atmosphäre des Moments entfernt war, und man konnte die Universalität von La Storia nicht erfassen. Die ARTE-Doku Elsa Morante, La Storia – Vom Skandal zum Klassiker von Silvia Luzi und Luca Bellino gibt die Möglichkeit, Morante und ihr Werk wieder zu Entdecken.

Begrüßung: Nicola Locatelli, Leiter des Italienischen Kulturinstituts Wien.
Lesung und Gespräch: Simona Baldelli
Moderation: Karin Fleischanderl
Konsekutivübersetzung: Lorena Pircher.

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