Retrospektive »HEIMATFILM« – VON GRÜNEN TÄLERN, VERLORENEN SÖHNEN UND LETZTEN ZUFLUCHTEN
„Es kann der Ort sein, wo man geboren ist, oder der, wo frau voller Sehnsucht wieder hin will, wenn frau meint, dass es zu Ende geht. Es kann, im schlimmsten Fall, die letzte Zuflucht sein oder, im besten, das Tor zum Himmel, wenn man versucht, sich irgendwo niederzulassen, wo man und frau zu Hause sein möchten. Man kann den Sohn verlieren an sie, so wie sie selbst alles verlieren kann, was das Land an Ressourcen und Bodenschätzen, die Menschen an Gemeinschaftsgefühl und kultureller Identität bieten.
Ohne sie wird man schnell zum Outsider, zum Emigranten, zum obdachlosen Wanderarbeiter, zum ausgestoßenen Weibsteufel. Im Einklang mit ihr bewährt man sich als einsamer Jäger und kann – von findigen Dorfbewohnern bekehrt – sogar zum Local Hero aufsteigen. In ihrer Mitte steht ein Generationen übergreifender Holzschuhbaum, aber die italienische Pächterfamilie muss sich genauso vor dem Gutsherren fürchten, der meint, alles gehöre ihm allein, wie der Mann, der im amerikanischen Süden um seine Baumwollernte bangt, während sich die Besitzerin einer Plantage im bürgerkriegsgebeutelten Afrika um den Erhalt ihres Kaffeebohnenanbaus sorgt.
Der, der indianisches Blut in sich trägt, versucht sie zu verleugnen, wie jene zurückgezogen Lebenden inständig hoffen, dass das Fremde, Unheimliche nicht ihre intakte Dorfgemeinschaft ruiniert. Ihre Täler werden geflutet oder stehen im saftigen Grün, bis der Raubbau an der Landschaft beginnt. Den einen, 1933 vertrieben, ereilt ihr Ruf, den er freudig annimmt, ein anderer will sich ihrem Ruf so schnell wie möglich entziehen und das triste schottische Bergarbeiterstädtchen hinter sich lassen.
Auf der Lebenslinie gibt es zwei Variablen: »No Resting Place« auf der einen, »Where I Belong« auf der anderen Seite. Irgendwo dazwischen liegt sie – die Heimat.“ (Brigitte Mayr, Michael Omasta)
Eine Kooperation von SYNEMA – Gesellschaft für Film und Medien und dem Filmarchiv Austria.
Retrospektive
»HEIMATFILM« – VON GRÜNEN TÄLERN, VERLORENEN SÖHNEN UND LETZTEN ZUFLUCHTEN
6. September bis 3. Oktober 2018 im METRO Kinokulturhaus, Johannesgasse 4, 1010 Wien
KuratorInnen des Programms: Brigitte Mayr | Michael Omasta (beide SYNEMA)
**
HOW GREEN WAS MY VALLEY (US 1941, John Ford)
Do 6.9. 19:30 Eröffnung der Retrospektive
Die Geschichte einer walisischen Bergarbeiterfamilie im ausgehenden 19. Jahrhundert, in Rückblenden erzählt aus der Perspektive eines Kindes, das als Erwachsener erkennen muss, dass die Umgebung, die ihm einst so heimelig vorkam, so friedlich nicht war. Gleichzeitig eine Parabel auf das Verlorengehen der Lebensweise einer ländlichen Gemeinschaft, die durch die nur an der Ausbeutung der Bodenschätze interessierten Grubenindustrie gefährdet wird. »Ein Rückblick«, wie Dominik Graf seinen »Lieblings-Ford« beschreibt, »in eine vermeintlich bessere Welt«, aber aus der »viel späteren, grausamen Gegenwart« des erwachsenen Erzählers, der dann bereits die »schwarzen Finger der Kohle das Grün überwuchern« sieht und sein einstmals geliebtes Tal, »ein verlorenes Paradies«, verlässt. Jeder Blick, jedes Wort stimmt – ein schönes, reiches Meisterwerk. (Brigitte Mayr)
Begrüßung: Florian Widegger (Filmarchiv Austria)
Einführung: Brigitte Mayr & Michael Omasta (SYNEMA)
[Wiederholung Sa 8.9. 18:00]
DER RUF (BRD 1949, Josef von Báky) – Fr 7.9. 18:00
Bedeutendes Dokument der Filmremigration mit Fritz Kortner, der auch das Drehbuch schrieb
THE SOUTHERNER (US 1945, Jean Renoir) – Fr 7.9. 21:15 | So 9.9. 18:00
Eindrucksstarker Film von Jean Renoir, im amerikanischen Exil selbst fern der Heimat
DER VERLORENE SOHN (D 1934, Luis Trenker) – Sa 8.9. 16:00 | Fr 14.9. 20:15
Dolomiten meet Skyscrapers: Trenkers erste Solo-Regie um einen heroischen Süditroler in New York
WHITE MATERIAL (F/Kamerun 2009, Claire Denis) – Sa 8.9. 18:45 | Do 13.9. 20:15
Verstörendes Werk, das die Widersprüche einer postkolonialen Identität verhandelt
WILD RIVER (US 1960, Elia Kazan) – Sa 8.9. 21:00 | Mi 3.10. 18:00
Hinreißendes Melodram von Elia Kazan, das verschiedene Formen von Zugehörigkeit durchdekliniert
SCHOTTISCHE TRILOGIE
MY CHILDHOOD – MY AIN FOLK – MY WAY HOME (GB 1972-77, Bill Douglas)
So 9.9. 12:00 Mittagsmatinee
Mit sensibilisiertem Erinnerungsvermögen und in beeindruckende Bilder filmisch umgesetze
Kindheitserlebnisse als beglückende Kinoerfahrung
DER WEIBSTEUFEL (A 1966, Georg Tressler) – So 9.9. 16:00 | Di 2.10. 18:00
Schönherrs Drama verfilmt als Anti-Heimatfilm und spannendes Gegenstück zur zeitgenössisch üblichen agfacolorierten Dulliöh-Stimmung
LOCAL HERO (GB 1983, Bill Forsyth) – Mo 10.9. 18:45 | So 16.9. 20:15
Manager eines Ölkonzerns gegen die kauzige Einwohnerschaft eines schottischen Fischerdorfes
JAIDER – DER EINSAME JÄGER (BRD 1971, Volker Vogeler) – Mo 10.9. 21:00 | Do 20.9. 18:00
Gottfried John als wortkarger bayerischer Desperado in einem archaischen Wildererdrama
NO RESTING PLACE (GB 1951, Paul Rotha) – Di 11.9. 18:00
In wunderschönem Schwarzweiß vom österreich-britischen Kameramann Wolf Suschitzky fotografierter Meilenstein des britischen Kinos
PANDORA’NIN KUTUSU / PANDORAS BOX (TR/D/F/B/CH 2008, Yesim Ustaoglu) – Mi 12.9. 20:15 | Mi 19.9. 18:00
Meisterinnenwerk von Yesim Ustaoglu über die Gegensätze zwischen Stadt und Land, Jung und Alt, Entfremdung und Heimat
ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB (BRD 1952, Hans H. König) – Sa 15.9. 16:00 | Mo 1.10. 21:00
Der Horrorschocker unter den deutschen Heimatfilmen …
THUNDERHEART / HALBBLUT (US 1992, Michael Apted) –
Sa 15.9. 18:00 | Mo 1.10. 20:00
Ein Mord im Reservat – und ein junger FBI-Ermittler in einer ihm fremden Heimat …
HEAVEN’S GATE (US 1980, Michael Cimino)
So 16.9. 12:00 Mittagsmatinee
Hypnotisierendes, opulentes Westernepos, in dem sämtliche Topoi des Genres abgehandelt werden
WHERE I BELONG – Director’s Cut (A/GB 2013/15, Fritz Urschitz) – So 16.9. 17:00 | Di 18.9. 20:00
Period Picture von gespenstischer Aktualität: zu Fragen der Emigration, der Restitution und der Geschichte von „Continental Britons“ auf der Suche nach Heimat
16.9.: Österreich-Premiere in Anwesenheit des Filmemachers, des in London lebenden Steirers Fritz Urschitz
LAST RESORT (GB 2000, Pawel Pawlikowski) – Mo 17.9. 20:15 | Mo 1.10. 18:00
Ein englischer Küstenort wird für eine junge Russin im zwischenstaatlichen Nirgendwo zur letzten Zuflucht
THE VILLAGE (US 2004, M. Night Shyamalan) – Mi 19.9. 21:00 | Mo 3.10. 20:00
Das fragile Konstrukt des behüteten Lebens in einem idyllischen Dörfchen wird durch die im benachbarten Wald hausende unheimliche Kreaturen bedroht
L’ALBERO DEGLI ZOCCOLI / DER HOLZSCHUHBAUM (I 1978, Ermanno Olmi) – Do 20.9. 20:00 | Di 2.10. 20:00
Olmis gesamtes Schaffen gleicht einer Suche nach den eigenen Wurzeln – hier die mit Laiendarstellern und semi-dokumentarischen Mitteln gestaltete Chrionik des Lebens bergamesischer Pächter Ende des 19. Jahrhunderts
Ausführliche Informationen zum Inhalt der Filme und zur gesamten Schau unter
https://www.filmarchiv.at/program/retrospective/heimatfilm/