Zeitvorstellungen gab es immer und wird es immer geben. Jede menschliche Kultur schien ein
Bedürfnis zu haben, ihre eigene Welt in ein Zeitgerüst einzubauen. Doch jede Kultur löste
dieses Bedürfnis auf unterschiedliche Art und Weise. Jede Kultur hat eine eigene Auffassung
von Zeit entwickelt und geht dementsprechend damit um. Eine Zeitrechnung schafft Zusammenhang
und bringt Ordnung, der sich die Menschen unterwerfen. Prinzipiell werden diese
Vorstellungen in zwei verschiedene Schemata eingeordnet. Auf der einen Seite stehen die
Zeitvorstellungen einer zyklischen Weltsicht, die in den älteren Kulturen weiter verbreitet
waren. Dies hängt mit der Erforschung der Zeit und einer angestrebten Ordnung der Zeit zusammen.
Die von den Menschen als erstes wahrgenommenen Zeiten sind zyklisch, angefangen
mit dem Tag und dem Monat und geht bis hin zum Jahr und zu den Jahreszeiten, die eine
entscheidende Rolle bei der Ausprägung der Sesshaftigkeit und der Ackerbaugesellschaften
spielten. Auf der anderen Seite finden sich die Interpretationen der Zeit, die einer linearen
Vorstellungswelt entspringen. Diese entwickeln sich in den großen monotheistischen Religionen.
Eines der wichtigsten Beispiele für das lineare Zeitverständnis ist wohl der Mensch
selbst, sein Leben entwickelt sich vom Leben zum Tod. Aus diesem Gerüst entwickelt auch
Augustinus von Hippo einen Teil seiner Zeitvorstellung, die das europäische Weltbild und das
Denken des Abendlandes lange Zeit prägte. Augustinus war einer der vier lateinischen Kirchenlehrer
der Spätantike. Er hinterließ uns zahlreiche theologische Schriften. Seine Philosophie
enthält viele Ideen Platons, die im christlichen Sinne modifiziert wurden.
Ich beschäftige mich in meiner Dissertation mit der Rezeption der Zeitvorstellungen des Augustinus
bei Gregor dem Großen, Isidor von Sevilla und Beda Venerabilis. Die Auswahl der
Rezipienten bezieht sich darauf, dass jeweils ein Vertreter der großen wissenschaftlichen und
religiösen Richtungen diese repräsentiert: Gregor der Große als Papst die Kirche selbst. Isidor
von Sevilla als Autor einer der wichtigsten Zusammenstellungen des gesammelten Wissens
die Richtung der wissenschaftlichen Universalgelehrten, die versuchten, die Welt zu erklären,
und der englische Benediktiner Beda Venerabilis als Repräsentant der Komputistik und der
wissenschaftlichen Disziplin der Chronologie und Chronographie. Die Untersuchung stützt
sich dabei auf zwei große Stützpfeiler, einerseits auf der Weltalterlehre in Zusammenhang
stehend mit der Vorstellung des Chiliasmus und der Linearität der Geschichte und andererseits
auf dem Beginn und dem Ende der Welt, der Schöpfung und der Eschatologie und damit
zusammenhängend die Ewigkeitsvorstellung.
Zeitvorstellungen im Mittelalter.
21.01.2016 18:00 - 19:00
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